Kaiserforum

Verehrte Leserinnen, verehrte Leser, sehr geehrter Herr Kanzleirat!
Einzig und allein darauf bedacht, Ihr wertes Wohl zu steigern, hat der von Ihnen und allen anderen potenziellen Lesern hochgeschätzte hiesige Autor weder Kosten noch Mühen gescheut und präsentiert Ihnen an dieser Stelle die (imaginäre Trommelwirbeluntermalung setzt ein) einzigartige, unvergleichliche, phänomenale, lang erwartete und alle Erwartungen übertreffende, nobel– und pulitzerpreisverdächtige, auf zunächst zwanzig Teile angelegte, schreibblockadenbeendende und schreibblockadenauslösende und wie immer radikal unterbezahlte Serie «Wo in Wiens mit historistischen Bravourstücken überreich dekorierter Architekturlandschaft finde ich die gelungensten, eindrucksvollsten und überhaupt schönsten historistischen Profanbauten der Stadt?» (imaginäre Trommelwirbeluntermalung erreicht ihren Höhepunkt, endet anschließend abrupt).
Die mit diesem Beitrag beginnende Serie mag auch Ihnen, verehrte Leserin, verehrter Leser, verehrter Herr Kanzleirat, ein willkommenes Hilfsangebot sein und Ihr neugotisches, neorinascimentales, neubarockes und neoromantisches Know-​how fördern, stärken und vertiefen.
Ergebenst
Ihr hiesiger Autor
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Kaiserforum
Gleich zu Beginn behelfen wir uns mit einem kleinen, aber wichtigen Kunstgriff. Über das Kunsthistorische Museum haben wir ja unlängst schon berichtet, über das Naturhistorische ebenso. Widmeten wir uns beiden Häusern dabei vornehmlich im Rahmen ihrer prächtigen Sammlungen, soll an dieser Stelle das architektonische Ensemble, das sie rahmt, zu seinem Recht kommen. Wir fassen es, historisch inkorrekt, wie wir sind, zum nie vollendeten Kaiserforum zusammen. Der ephemere Arbeitgeber wird Gnade vor Recht walten lassen, der aufmerksame Leser, so hoffen wir, wird Selbiges tun.
Die Krone der Ringstraße hätte es sein sollen, das Kaiserforum. Geht es nach unserer schönen Liste, ist es das auch geworden. Denn die Unvollendetheit tut seiner Vollendetheit keinen Abbruch. 1864 hatte man den Bau zweier Museen unweit der Hofburg beschlossen. Gottfried Semper freilich hatte Größeres im Sinn. Und legte Entwürfe vor, anhand derer das riesige Areal zwischen Leopoldinischem Trakt und Hofstallungen zum strahlenden Kumulationspunkt habsburgischer Machtdemonstration ausgestaltet werden sollte. Zwei quer zur Ringstraße stehende Museumsbauten, im Wesentlichen Plänen Karl von Hasenauers folgend. Der eine der Natur, der andere der Kunst gewidmet. Daran anschließend Verlängerungsflügel der Hofburg. Und in der Mitte des neu entstehenden Platzes, des Kaiserforums, der Thronsaal des Kaisers selbst. Der, ja der war begeistert. Natürlich. Gab seine Zustimmung und ließ bauen. Ab 1871.
Nach achtzehn Jahren war die Anlage des Naturhistorischen, nach zwanzig die des Kunsthistorischen Museums vollendet. Der Ausbau der Hofburg zog sich hin. Als 1913 endlich der Rohbau der heutigen Neuen Burg stand, waren sein nordwestliches Pendant und der Mitteltrakt schon aufgegeben.
Doch was wurde nicht alles vollendet. Der vom Sonnengott Helios bekrönte Kuppelbau der Naturaliensammlung. Im Inneren Marmor und Dekor, wohin das Auge schaut. Wie Heilige stehen sie vor uns, die Größen der Forschungsgeschichte. Aristoteles, Kepler, Newton, Linné, Berzelius, Humboldt. Und über ihnen Canons wunderbarer «Kreislauf des Lebens». Kein Fresko, nein, auf Leinwand ist es gemalt. Auf unfassbaren 140 Quadratmetern Leinwand. In der Kuppel Allegorien der acht Wissenschaftsdisziplinen, denen das Museum Raum gab. Zoologie, Botanik, Anthropologie, Ethnographie, Urgeschichte, Mineralogie, Geologie, Paläontologie. Darunter ein Paukenschlag. Ein Affe hält dem Knaben den Spiegel vors Gesicht, ein anderer hält ein Buch. Darwin, Abstammung des Menschen, ist zu lesen. Ein Bild für ein neues Weltbild.
Vom Fenster der Blick über den Maria-​Theresien-​Platz. Nicht weniger großartig, was gegenüber entstand. Die Lunettenbilder Makarts. Holbein, Dürer, Rembrandt, Rubens, Raffael, Michelangelo, Tizian setzen sie Denkmäler. Die Zwickelbilder der Brüder Klimt und Franz Matschs. Eine Reise durch die Kunstgeschichte der Menschheit. Canovas Theseusgruppe. Zuviel für einen Tag, zuviel für den hiesigen Beitrag.
Kaum angekommen, ziehen wir schon wieder von dannen. Die Uhr tickt und das Leben ist kurz. Bedauerlich kurz. Wir wollen die Zeit also nutzen. Es wird uns in guter Erinnerung bleiben, das schöné Kaiserforum. Als ein strahlender Glanzpunkt historistischer Baukunst in Wien. Der strahlendste, befindet unsere kleine Redaktion nach eingehender Beratung. Und gratuliert herzlich.