Thalia im Zelt

Schöner Beitrag von Scipio. Kann ich mich nur anschließen. Es ist wunderbar, wenn das Theater den Weg zurück zur Straße bzw. zum Park findet und damit ein Publikum anlockt, dass sonst den Weg dorthin vielleicht eher meidet. Calderons Das Leben ein Traum war traumhaft. Vor allem, weil die Improvisation so viel ursprüngliche Theaterqualität ans Licht bringt. Keine voll ausgestattete Bühne, keine Lichterschau, keine digitalisierten Glanzpunkte oder sonst etwas, was in einem Theaterhaus inzwischen, zumindest zuweilen, Einzug erhält. Einfach nur Schauspieler, die ein Stück aufführen und dabei soviel Phantasie entwickeln und künstlerisches Vermögen, dass ich regelrecht begeistert war. Allein die Tatsache, dass man mit drei größeren Ästen und ein bisschen Geräuschkulisse im Hintergrund einen ganzen Sturm darstellen kann und man als Zuschauer schon das Gefühl bekommt, hinweggefegt zu werden, ist ganz großartig. Wunderbare Inszenierung, die sich jeder bei nächster Gelegenheit antun sollte. Und zwischendurch, sprich in der Pause, ein Bier zu zischen und né Bratwurst zu verdrücken, ist so selten für die Theaterwelt, dass es begeistert, auch wenn man sonst nicht mal Bratwürste isst.

Wir haben das Stück im letzten Sommer gesehen und genossen. Jeder, der es verpasst hat, soll es unbedingt in den nächsten Wochen wiederholen, da es
a) keine dritte Saison gespielt wird und
b) unklar ist, was der neue Intendant als Sommerevent 2010 plant — vielleicht gibt es die sehr treffend beschriebene Location dann auch gar nicht mehr

im Sommer ins Thalia Zelt, eine wundervolle Idee und tolle Schauspieler

Das Leben ein Traum. –Titel eines phantastischen Bühnenklassikers UND Motto des Thalia-​Theaters, das wie schon im letzten Sommer direkt am Alsterlauf in Eppendorf seine vanilleweißen Zelte aufgeschlagen hat.
Den kleinen Seelemannpark hinter der schicken St. Johanniskirche müssen sich betuchte Brautpaare und Porsche-​Cayenne-​lenkende Kleinkind-​Mütter für ein paar Wochen mit fahrendem Volk teilen. Auf der Grünfläche hat die Schauspieltruppe unter riesigen Planen eine wetterfeste Arena geschaffen. Drumherum liegen Container, hingekippt wie Riesenwürfel, in denen sich die Akteure aus– und anziehen, schminken, bei einer Zigarette beraten können. Für das Publikum stehen mobile Toilettenhäuschen und eine improvisierte Bar bereit, in der man während der Pausen sogar noch einen Teil der EM-​Spiele gucken darf.
Brave Besucher kommen natürlich nur wegen des Theaters hierher. An achtzehn Abenden entführen uns die Schauspieler in den Kosmos Pedro Caldéron de la Barcas: Sein Stück handelt von einem abergläubischem König, der seinen Sohn Sigismund lebenslang in eine Eisenkugel eingesperrt hat, weil diesem ein ungünstiges Horoskop ausgestellt wurde. Klingt für mich auf bedrückende Weise wie der Kriminalfall von Amstetten, die im Zelt gezeigte Familientragödie spielt allerdings im alten Polen. Mehr zum Inhalt auf der Internetseite des Thalia. Soviel sei verraten: Die Inszenierung beeindruckt mit spektakulären Bühnenideen und großer Schauspielkunst. Und es gibt sogar ein Happy-​End ! Regisseur Stefan Bachmann kann auch ohne gigantische Bühnenmaschinerie überzeugen. Für mich noch besser als die Zelt-​Aufführungen im letzten und vorletzten Jahr!
Im Park an der Alster können wir Theater sehen, wie es möglicherweise einmal gedacht war, in der Antike oder im goldenen Zeitalter: Volkstümlich, laut, mitten im Leben. Drinnen kracht und donnert es, es wird gelacht und geschrieen. Schauspieler schwitzen, der Geruch der Zeltplane erinnert an Pfadfinderreisen. Draußen spielen Kinder, wuseln Hunde, von der Theaterbar schauen wir Becks trinkend auf die kleine Wasserstraße, auf der Kanuten wacker ihre Bahnen ziehen.
Das Leben ein Traum. Selbst im wirklichkeitsfernen Eppendorf können Träume wahr werden. Wenigstens für ein paar Wochen.