Mit einer meiner besten Freundinnen hatte ich mit elf eine Diskussion über Selbststän digkeit. Sie war künstlerisch sehr begabt, ging auf eine Waldorfschule und machte auch teilweise ihre Kleidung selber; ich war überzeugt davon, dass man mit selber machen von gebrauchsgegenstände keine großen Sprünge machen kann, sie behauptete das Gegenteil. Sie hatte Recht. Der Beweis wurde erbracht mit einem kleinen Lädchen, dessen Schaufenster den allergrößten Teil des Verkaufsraums einnimmt und auch schon den Großteil der Ware darbietet. Auf acht bis zehn Stangen stecken Hütchen, in allen Formen, Größen und Farben; mit Schleier oder ohne, abgedreht oder normal. Ein Wohnhaus, ein Wohnhaus, ein buntes Schaufenster mit seltsamen Stangen und Farbtupfern, ein Wohnhaus. So klein das Lädchen auch ist, wir haben hier einen Hingucker in reinster Form. Beim Nähertreten sieht man hinter dem großen Fenster in einer Ecke die Besitzerin und Künstlerin sitzen, immer über ein neues Kunstwerk gebeugt und ständig nähend. Immer offen für neue Ideen, freundlich und ein bisschen in sich gekehrt berät sie, passt Haarfarben an Stoffe an und steckt Schleier zur richtigen Größe zurecht. Seit Jahren schon hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht, und wie immer bei solchen Voraussetzungen hat sie das erreicht, wovon andere nur träumen: von ihrem Hobby leben zu können.